Wie wir waren...

 

 

 

Wie war das Klettern in den Siebzigern? Wie war es früher unter einer Dolomitenwand zu stehen und sich eine Route auszudenken? Es war, als ob man die alten Zeiten neu erfinden würde, die Zeiten vor dem Eroberungsalpinismus (den goldenen Zeiten des Direttissima-Nagelns), der für einige Zeit die einzige Möglichkeit einer Evolution zu sein schien. Wir waren eine kleine Gruppe junger "Erneuerer", die mit der festgefahrenen Einstellung des zeitgenössischen Bergsteigens wenig gemeinsam hatte. Unbeeinflusst vom Status Quo suchten wir nach frei kletterbaren Linien, die mit herausnehmbaren Sicherungen möglich sein mussten, also ohne Bohrhaken. Der Stil war das wichtigste Kriterium und nicht der Schwierigkeitsgrad. Je weniger Ausrüstung, desto besser. Der Respekt für unsere Vorgänger und der gegenseitige Respekt unter Insidern -unseren Kameraden- war uns wichtiger als die Anerkennung in der Öffentlichkeit. Höhere Schwierigkeitsgrade auf Kosten des Stiles waren bedeutungslos.

Man suchte eine Entwicklung unter möglichst gleichen Voraussetzungen wie sie unsere Vorgänger gehabt hatten, und eine sogar noch striktere Ethik zu verfolgen, war die ehrliche und logische Antwort.

 

 

U nsere Kletterwelt in den Siebzigern: Man überlegt sich seine Möglichkeiten vom Wandfuß aus, beginnt zu klettern, frei, folgt natürlichen Strukturen, sucht nach Griffen und Tritten. Das alles Entscheidende aber sind die Möglichkeiten für die Sicherung. Die Auswahl sind Klemmkeile und ein kleines Hakensortiment, keine Bohrhaken. Der Umgang mit dem Risiko ist das Um und Auf, alles dreht sich darum. Wer frei ins Ungewisse klettert, befindet sich in einer völlig anderen Dimension als in preparierten Sport Routen. Eine Steigerung der Kletterschwierigkeiten unter diesen Voraussetzungen verlangte Mut und Kreativität. Manchmal fand man schwere Stellen, die sich gut absichern ließen, manchmal musste man einfach Glück haben, um zu überleben. Trotzdem lebten wir einen locker, lässigen Lifestyle und unsere Einstellung war der Hippie-Kultur viel näher als dem pathetisch-heroischen Image des Mainstream-Alpinismus.

Was aus uns geworden ist...

 

 

Das Ende des Abenteuers bedeutet das Ende der Freiheit...

I n den Achzigern erregte das Sportklettern erstmals die öffentliche Aufmerksamkeit. Da lag etwas Frisches und Neues in der Luft. Das Freiklettern wurde endlich klar definiert und unser Spiel erreichte eine neue Dimension. Trotz dieser klaren Entwicklung in eine athletische und Sport orientierte Zukunft, dachte keiner, dass die Zeiten des Abenteuers und des Risikos vorbei sein würden. Von unten in eine unbekannte Wand einzusteigen und sie freikletternd zu entdecken war immer noch das höchste aller Ziele, der Verzicht auf Bohrhaken in Gebirgsrouten eine Selbstverständlichkeit.

Deshalb wurden als erstes Rotpunktbegehungen klassischer Artif-Routen zum neuen Trend unter "Grad-pushern", weil sie Dank bereits vorhandener Haken eine deutliche Steigerung der Schwierigkeitsgrade in großen Wänden erlaubten.

Aber was war aus unserer Traumwelt geworden, aus unserer "Seperate Reality", aus unserem "Nonkonformistischen-Lebensstil"? Dass die Berge letztendlich zu einer Sportarena werden könnten, hätten wir nie gedacht!

Klettern war für uns faszinierend, weil es anders war als das gewöhnliche Leben und gewöhnliche Sportarten, und weil es kein Publikum gab. Es gehörte ganz uneingeschränkt uns und wir genossen die Freiheit, an Bergen und Felsen unsere eigenen Ideen auszuleben, fern vom Rampenlicht der Sensations-Presse.

 

1982 - Freiklettern alter Hakenrouten an der Rotwand

Als Nico Mailänder einen Artikel publizierte, der von Pete Livesey's Versuchen berichtete, einige klassische Hakenrouten in den Dolomiten frei zu klettern, waren wir alle beeindruckt. Livsey's Dolomitenreise hatte auch meine Neugier entflammt und ich begann erstmals über die Nützlichkeit eines spezifischen Trainings nachzudenken: Querungen an der Hausmauer, Klimmzüge und slackline. So wurde im Sommer 1982 die Rotpunkt-Begehung der Buhl an der Rotwand zu meiner ersten Sportkletter-Erfahrung in den Dolomiten. Zweifellos eine interessante Entwicklung, die aber meine Meinung, dass wirkliche Evolution an neuen und unpreparierten Routen stattfinden musste, nicht änderte.

 

 

Seit meinen ersten Sportkletter-Erfahrungen in Arco, Finale und Südfrankreich hatte ich Sportklettern und Gebirgsklettern immer klar getrennt und als völlig unterschiedliche Kategorien betrachtet. Sportklettern ist Sport, Gebirgsklettern ist Abenteuer.

Sportklettern ist frei von Risiko, Gebirgsklettern ist geprägt von Risiko. Während es beim Sportklettern ums rein Athletische geht, besteht die Schwierigkeit einer großen Wand vor allem aus der psychischen Anforderung.

Die heutige Realität: Viele Gebirgsrouten werden als Sportkletterrouten prepariert. Das heißt, dass sie nicht gleich von unten frei geklettert werden, sondern gewissermaßen von Haken zu Haken erobert werden, ein Mix von frei- und artifklettern. Erst wenn sie perfekt abgesichert und vorbereitet sind, wird die Rotpunkt-Begehung probiert. Diese Vorbereitungsarbeiten gehen in manchen Fällen sogar so weit, dass Fixseile vom Gipfel in die Wand gehängt werden, gefolgt von tagelangem Ausbouldern der Einzelstellen und perfekter Vorbereitung der Absicherung.

Für mich ist das “Sportklettern auf umständliche Art” und hat weder mit dem Abenteuerklettern unserer Vorgänger, noch mit dem Stil-bewussten Minimalismus meiner Generation etwas gemeinsam. Trotzdem werden diese "Unternehmungen" als neue Höhepunkte des Gebirgskletterns publiziert und niemand scheint den Sinn dieser Entwicklung zu hinterfragen. Es erinnert stark an die "Direttissima-Zeiten", als die Eroberung des Unmöglichen das Ziel hatte, öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen, und um Orden und Medaillen von den Authoritäten zu erlangen. Es ist schon verwunderlich, dass die aktuelle Denkweise immer noch in den Zeiten der Eiger-Tragödie und anderer alpiner Leidensgeschichten verankert ist. Das einzig neue: Moderne "Alpinhelden" repräsentieren ihre Sponsoren anstatt nationalistischer Interessen wie in den Vorkriegsjahren.

In dieser neuen geschäftsorientierten Alpinistenwelt werden sogar engagierte Risikoverweigerer als Helden eingestuft, sobald sie ihren Namen mit einem Berg verbinden. Die gute alte Gebirgsdrama-Athmosphäre liefert immer noch einen spektakulären Hintergrund und gibt sportlich unwichtigen Leistungen einen extra Wertfaktor.

Fakt ist: Die aktuelle Generation hat ganz einfach die minimalistische Haltung unserer Generation ignoriert und die Evolution auf ihre Weise betrieben, eine Art Fortschritt durch die Hintertür.

 

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