basic climbing instinct...
San Nicolò
Dem Instinkt folgen...
Das Nikolaustal in den späten Achzigern: Pionier sein war nicht mehr so einfach wie in der Vergangenheit. Klar, einer konnte mehr trainieren, einige Kilos mehr abhungern und die Grade in Richtung 8c/9a pushen. Das war aber nicht der Job für Pioniere, sondern für richtige Athleten, die super diszipliniert und konstant ihre Fitness verbesserten. Abgesehen davon, seit der Einführung der Kletterwettbewerbe hatte die Entwicklung in den Klettergebieten einiges an Bedeutung und des anfänglichen Spirits eingebüßt.
Zumindest ich hatte diesen Eindruck, und der ist mir bis heute geblieben, weil es mir offensichtlich scheint, dass die besten Wettbewerbskletterer die härtesten Routen klettern können, wenn sie sich das als Ziel stecken.
Ich habe nie an das Konzept des "Wettlauf zum Gipfel" geglaubt, oder in diesem Fall, an den "Wettlauf zum Supergrad", als einen alternativen Weg des Wettbewerbs für jene, die den direkten Vergleich scheuen. Seit die offiziellen Kletterwettbewerbe Teil unserer Kletterwelt sind, ist das Klettern in der Natur wieder zu dem geworden, was es einmal war, in den Anfangsjahren, als es noch keinen offiziellen Wert hatte. Das einzige, das zählt, ist die Suche nach den persönlichen Grenzbereichen und der einzige Bewunderer, der zählt, ist jeder für sich selbst.
Mario Prinoth klettert Basic Instinct, 2009
Aber zurück zum Nikolaustal in den späten Achzigern: Nach meinen schwierigsten Routen, Kendo und Looping, war mir das Gefühl geblieben, dass ich das Maximum meiner Möglichkeiten noch nicht ganz ausgeschöpft hatte. Das Maximum seines Potentials auszudrücken ist ein Traum, der in jedem existiert, nicht nur in einem Kletterer, und ich denke, dass der Mensch aus diesem Grund das Leben in den Höhlen aufgegeben hat.
In meinem Fall wollte ich endlich wieder aus dem Wald, in den ich mich seit einigen Jahren zurückgezogen hatte. Ich träumte von einer Route in weit offener Landschaft, super ausgesetzt und natürlich super schwer. Das letztere war kein simpler Aspekt für jemanden, der anstatt eines Trainingsprogramms, seinem Instinkt und momentanen Launen folgt. Auch wenn das ständige Wiederholen der immer wieder gleichen Routen nicht das Höchste der Gefühle war, machte es immer noch mehr Spaß, als monotone Arbeit am Campusboard oder anderen zielstrebigen Trainingsmethoden. Der übliche Tagesablauf: Aufwärmen an Cesarline (7c/8a), drei Mal Kendo in Serie (8b), gefolgt von mehreren Versuchen an neuen Projekten, dann schnell nach Hause, den Hängegleiter aufgepackt und über den Dolomitengipfeln fliegen für den Rest des Tages.
Das große Dach: Ich fühlte mich wie Rocky Balboa, der sich nach Russland zurückgezogen hatte, um in den sibirischen Wäldern als Holzfäller zu leben, Baumstämme zu schleppen und Holz zu spalten - ein spezielles Krafttraining für seinen nächsten Kampf. Anstelle der Baumstämme schleppte ich eine riesige Last an Ausrüstung, darunter eine Benzin- Schlagbohrmaschine, die allein mindestens 10 Kilo wog. Ich konnte mich mit der Riesenlast kaum im Gleichgewicht halten und mußte auf lockeren Graswasen eine fast senkrechte Wand hinaufklettern. Ich folgte den Spuren extremer Gämsen und war völlig erschöpft und ausgelaugt, noch bevor es mit der richtigen Arbeit losging, ein Dach von mindestens acht Metern einzubohren, mit der Absicht möglichst wenige Bohrhaken zu schlagen. Dazu kam das Auskratzen der Löcher, die voller Erde waren und das mühsame Isolieren, damit kein Wasser mehr durchsickern konnte. All das stundenlang frei unter dem Dach hängend. Drei Wochen harte Arbeit, bevor ich den ersten Versuch machen konnte! Nie hatte ich einen derartigen Aufwand als Alpinist betrieben.
Das Resultat war eine fantastische Route, ein Ausdauerproblem mit einigen gemeinen Einzelstellen. Leider gelang es mir nur wenige Male meinen treuen Sicherer, die Luisa, an den umständlich zu erreichenden Ort zu bringen. Der Zustieg war nicht nur mühsam, sondern auch gefährlich (erst Jahre später wurde dort ein Klettersteig eingerichtet, der die Sache um vieles einfacher macht). Ich erinnere mich an einen wirklich guten Versuch: Ich hatte den schwierigen unteren Überhang geschafft, dann das große Dach und befand mich ganz unerwartet im vertikalen Wändchen, wenige Meter unter dem Stand. Ich hatte diese letzten paar Meter nie richtig probiert, weil ich sie als "leicht" beurteilt hatte. Verraten von meinem Instinkt in diesem kritischen Moment, machte ich alles falsch und musste völlig ausgepumpt wenige Meter unter dem Stand das Handtuch werfen. "Das nächste Mal wird es gehen", dachte ich, aber einige Tage später hörte ich einen lauten Knacks, als ich unerwartet in meinem anderen Projekt stürzte. Zuerst dachte ich, dass ein kleiner Griff gebrochen war, doch es war das Ringband meines Mittelfingers! Das war das Ende meiner Träume vom "schneller, weiter, höher"!
Nach 8 Monaten Pause begann der Finger wieder zu funktionieren, aber er erreichte nie mehr die Kraft wie in den Zeiten vorher. Ich verschob meine Hoffnung auf weitere Versuche am großen Dach von Jahr zu Jahr, aber am Ende führte mich mein "Instinkt" in eine andere Richtung...
Manchmal hatte ich daran gedacht, meine Projekte den Kletterern der jungen Generation zu vererben, aber die Hoffnung, doch eines Tages selbst zurückzukehren, hatte mich nie ganz verlassen. Tief in meinem Innern war ich eben ein Optimist und warum sollte ich das Geheimnis entschleiern, solange niemand von selbst draufkam? Erst als Mario Prinoth, ein hervorragender lokaler Kletterer, vorsichtig anfragte, ob ich noch Versuche am großen Dach machte, wurde mir bewusst, dass seit meinem letzten Versuch zwanzig Jahre vergangen waren! Es war Zeit, dieses Projekt weiter zu geben, an jemanden, der bereit war, es zu machen. Ich bot dem Mario auch das Projekt an, an dem ich mir den Finger ruiniert hatte. Meine Begeisterung für's Klettern war damit noch lange nicht zu Ende. Man sagt, dass es für "Erwachsene" wichtigere Dinge im Leben gibt als Klettern, ich wundere mich bis heute, welche das wohl sein mochten...